Digitale Souveränität in China – Ein Kurzüberblick

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In China wird das Thema „Digitale Souveränität“ beziehungsweise „Cyber Souveränität“ schon deutlich länger diskutiert, als beispielweise in der Europäischen Union. Ziele sind insbesondere die Aufrechterhaltung von sozialer Stabilität und die Etablierung eines Zwangs zur Befolgung der Gesetze der Kommunistischen Partei. Dabei wird vor allem mit der Kontrolle der Informationsflüsse im Internet gearbeitet (Jia 2021, 98). Spätestens mit dem Weißbuch 2010 wurde der Begriff „Digitale Souveränität“ in die öffentliche Debatte eingeführt und leitete das Handeln der politischen Klasse in China an (Skierka/Brenner 2015, 48 und Jia 2021, 101; 112). Seitdem wurden diverse Strategien beschlossen, unter anderem die „Cyber Power Strategy“ (2014), die Staatsstrategie „Made in China 2025“ (2015), der „Internet Plus Plan“ (2015) und die „Cyber Superpower Strategy“ (2018) (Jia 2021, 98ff. und Christmann-Budian/Geffers 2017, 132).

Der Schwerpunkt liegt in der chinesischen Version von „Digitaler Souveränität“ auf der Unabhängigkeit der Gesellschaft und chinesischer Unternehmen von westlichen digitalen Produkten. Dabei wird explizit das Ziel eines chinesischen Herrschaftsraumes als eigenständiger, durch Nichteinmischung gekennzeichneter Raum hervorgehoben. Der chinesische Souveränitätsbegriff für den digitalen Raum ist also sehr viel näher am ursprünglichen, territorialen Konzept angelehnt, als jener der Europäischen Union.

In diesem Zusammenhang geht es laut chinesischen Forschern in der politischen Diskussion und bei Gesetzgebungsverfahren und Strategiepapieren nicht um eine Fragmentierung des Internets in isolierte souveräne Rechtsräume, sondern vielmehr darum, dass unabhängige Staaten ihre politischen Vorhaben durchsetzen und miteinander koordinieren sollten. Angestrebt wird die Etablierung eines internationalen rechtlichen Regimes, welches die Ordnung im Cyberspace aufrechterhält und die souveränen Rechte jedes Staates, eine eigene Internet-Policy innerhalb des Landes zu betreiben, verankert (Stadnik 2021, 149).

Laut Santaniello, der ein Modell zu den unterschiedlichen Internet-Governance-Strategien verschiedener Staaten entwickelt, lässt sich die Strategie der chinesischen Führungselite als „digital sovereigntism“ bezeichnen. Dies identifiziert Santaniello als eine ganz spezifische Version von Digitaler-Souveränitäts-Strategie. Sie umfasst ein niedriges Inklusionslevel – allein nationale Regierungen sollen Entscheidungen treffen – und die bedeutendste Quelle von Legitimität ist die nationale Souveränität. Staatliche Autorität soll als Grundprinzip gelten und staatliche Unabhängigkeit als generelles Kriterium. Es handelt sich also um eine geopolitische Perspektive mit dem Wunsch nach Steuerung durch bilaterale oder multilaterale Verhandlungen und Vereinbarungen. Bevorzugt werden auf internationalem Level Institutionen wie die International Telecommunication Union, die World Conference on International Telecommunications und Kontakte zwischen staatlichen Akteuren und auf nationalem Level Initiativen unter Leitung der Regierung über Parlamente (Santaniello 2021, 25f.). Aktuelle Maßnahmen sind zum Beispiel die Entwicklung von neuen Internet-Standards um über die Herrschaft einiger technischer Aspekte einen Teil des Internets besser kontrollieren zu können (Hoffmann/Lazanski/Taylor 2020).

Gleichzeitig wird der Zugang zu bestimmten Internet-Seiten durch die sogenannte „Great Firewall“ beziehungsweise das „Golden Shield“ über Techniken wie Border Gateway Protocol-, oder DNS-Hijacking, Schlüsselwort-Filterung und das Blockieren von IP-Adressen unterbunden (Hyland 2020, 10ff.). Diese Architektur wurde bereits zwischen 2000 und 2005 mit Hilfe von westlichen IT-Konzernen aufgebaut und bildet den Ankerpunkt für die Kontrolle der Kommunistischen Partei über das Internet (Luo/Lv 2021, 123). „Kontrolliert und beschränkt wird der Internetverkehr an einigen wenigen Knotenpunkten, über die der gesamte Außenkontakt der chinesischen Subnetze abgewickelt wird“ (Misterek 2017, 12). Für die Aufrechterhaltung dieses Systems und die damit verbundenen strengen Zensurmaßnahmen sorgen sowohl chinesische, als auch ausländische Internetfirmen. Letztere lassen sich darauf ein, da sie befürchten, sonst nicht mehr an dem lukrativen chinesischen Markt partizipieren zu können (ebd. und Jia 2021, 97).

Der chinesische Staat führt die Politik der „Digitalen Souveränität“ also nicht allein aus. Zunehmend spielen nicht-staatliche Akteure und insbesondere lokale Tech-Unternehmen wie Alibaba, Tencent und Baidu eine Rolle (Jia 2021, 97). Seit Ende der 1990er Jahre verfolgt die chinesische Regierung in diesem Zusammenhang die sogenannte „National Champions Policy“ und fördert große, global erfolgreiche chinesische Unternehmen besonders (ebd., 103 ff.). Gleichzeitig wird ausländischen Unternehmen durch Regulierungen der Marktzugang erschwert und Inhalte von ausländischen Internetanbietern werden zensiert (Skierka/Brenner 2015, 48). Dass dies erfolgreich ist, zeigt sich daran, dass die chinesische Internetwirtschaft sich seit den 2000ern von einem Markt für westliche Produkte hin zu einer Geburtsstätte einiger der weltweit größten Internetfirmen entwickelt hat (Jia 2021, 103). Forscher betonen, dass die chinesische Internetpolitik spätestens seit der Finanzkrise 2008 zunehmend neoliberaler und technokratischer gefärbt ist, „encouraging individual success stories of entrepreneurs and technocrats salvaging the national economy“ (ebd., 101).

Insgesamt verfolgt die chinesische Regierung demnach eine Doppelstrategie von strenger Zensur und Protektion der lokalen Internetindustrie (Christmann/Budian 2017, 129ff.). „Chinas Beispiel macht also zunächst deutlich, dass der Schutz staatlicher digitaler Souveränität in manchen Staatssystemen auch nach innen gerichtet sein kann. Doch natürlich sind ausländische Einflüsse auf diese Weise ebenfalls reduzierbar oder zumindest besser kontrollierbar“ (ebd., 130). Insgesamt scheint im Denken der chinesischen Führungseliten eine Ideologie des „Techno-Nationalismus“ immer weiter verbreitet zu sein. High-Tech wird hierbei als eine Quelle nationaler Macht verstanden, technologische Autonomie steht im strategischen Fokus und wird durch Mittel wie staatliche Finanzierungen, Subventionen, Steuererleichterungen, Auftragsvergabe durch die Regierung, technologische Standards und Beschränkungen ausländischer Investitionen erreicht (Jia 2021, 99).


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Quellen

Christmann-Budian, Stephanie; Geffers, Johannes. „Wie Zuhause so im Cyberspace? Internationale Perspektiven auf digitale Souveränität.“ In: Wittphal, Volker (Hg.). Digitale Souveränität: Bürger, Unternehmen, Staat. Wiesbaden: Springer Vieweg, 2017, 117 – 150.

Hoffmann, Stacie; Lazanski, Dominique; Taylor, Emily. „Standardising the splinternet: how China’s technical standards could fragment the internet.“ In: Journal of Cyber Policy 5 (2), 2020, 239 – 264.

Hyland, Jospeh. „Internet Censorship: An Integrative Review of Technologies Employed to Limit Access to the Internet, Monitor User Actions, and their Effects on Culture.“ https://digitalcommons.liberty.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=2078&context=honors > 2020. (27.06.2021)

Jia, Lianrui. „Bulding China’s tech superpower – State, domestic champions and foreign capital.“ In: Haggart, Blayne; Tusikov, Natasha; Scholte, Jan Aart (Hrsg.). Power and Authority in Internet Governance – Return of the State? London und New York: Routledge. 2021, 97 – 122.

Luo, Ting; Lv, Aofei. „‚Nine dragons run the water‘ – Fragmented internet governance in China.“ In: Haggart, Blayne; Tusikov, Natasha; Scholte, Jan Aart (Hrsg.). Power and Authority in Internet Governance – Return of the State? London und New York: Routledge, 2021, 123 – 146.

Misterek, Fock. „Digitale Souveränität – Technikutopien und Gestaltungsansprüche demokratischer Politik.“ < https://pure.mpg.de/rest/items/item_2452828/component/file_2452826/content > 2017. (30.04. 2021).

Santaniello, Mauro. „From governance denial to state regulation – A controvert-based typology of internet governance models.“ In: Haggart, Blayne; Tusikov, Natasha; Scholte, Jan Aart (Hrsg.). Power and Authority in Internet Governance – Return of the State? London und New York: Routledge, 2021, 15 – 36.

Skierka, Isabel Marie; Brenner, Thorsten. „Digitale Souveränität.“ In: Woyke, Wichard; Varwick, Johannes (Hrsg.). Handwörterbuch Internationale Politik. 13. Auflage. Opladen, Toronto: Verlag Barbara Budrich, 2015, 45 – 49.

Stadnik, Ilona. „Russia – An independent and sovereign internet?“ In: Haggart, Blayne; Tusikov, Natasha; Scholte, Jan Aart (Hrsg.). Power and Authority in Internet Governance – Return of the State? London und New York: Routledge, 2021, 147 – 167.

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