Digitale Souveränität in Russland – Ein Kurzüberblick

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Einige, wenige Artikel beschäftigen sich mit russischen Primärquellen und der akademischen Literatur zu dem Thema „Digitale Souveränität“ in Russland. Die wissenschaftliche Diskussion um rechtliche Aspekte von staatlicher Souveränität im Internet findet in Russland – vergleichsweise lange – bereits seit Ende der 1990er Jahre statt (Kukkola/Ristolainen 2018 und Stadnik 2021).

In Russland wird der „Cyberspace“ meist mit „Information space“ benannt und dieses Konzept schließt alle Massenmedien, nicht nur Informations- und Computertechnologie-Plattformen mit ein (Kukkola/Ristolainen 2018). Seit dem Übergang in eine freie Marktökonomie und zum Pluralismus in den 1990er Jahren sieht die russische Regierung das Internet als Gefahrenquelle beziehungsweise Risiko. Dies hängt vor allem mit der schrittweisen Gewährung einer nicht staatlich gelenkten öffentlichen Meinungsbildung seit den 1980ern zusammen. Zunehmend wurde der Zugang zu vorab unterdrückten Informationen toleriert. Insbesondere die als expansiv empfundene Informationspolitik der USA wird als Bedrohung empfunden (Nocetti 2015). Aber auch die Proteste im Zuge des Arabischen Frühlings und inländische Proteste vor den Wahlen 2011 haben dafür gesorgt, dass seit 2012 die russische Regierung stetig ihre Kapazitäten, nationale Kontrolle über Informationsflüsse und Infrastruktur des Netzes zu erlangen, ausgebaut hat (Jaitner/Rantapelkonen 2013 und Musiani u.a. 2019).

Die grundlegende staatliche Perspektive besteht darin, dass digitale Souveränität der konventionellen territorialen Souveränität auf Land, See und in der Luft gleichzusetzen ist. Es ergeben sich jedoch Schwierigkeiten, in offiziellen Dokumenten und Beschlüssen diese national-territoriale Sicht mit den transnationalen Gegebenheiten des Internets zu vereinbaren. Außerdem zeigt sich eine verschwommene Linie in der Wortwahl und häufig wird nicht zwischen einem Cyberspace als Netzwerk von Geräten und einem Netzwerk von Informationen unterschieden (Jaitner/Rantapelkonen 2013, 82ff.).


Although there are no official definitions of ‚digital borders‘ in Russian public documents, the idea of delineation is present. Borders are delikate through international, if need be bi- or multilateral, agreements, through territorial state control of information infrastructure, through securitization of information space, and through national laws
Juha Kukkola und Marie Ristolainen
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(Kukkola/Ristolainen 2018)

In Santaniellos Modell wäre Russland strategisch im Mittelfeld zwischen einem neuen Multilateralismus und dem chinesischen „digital sovereigntism“ einzuordnen, jedoch näher am chinesischen Ende (Stadnik 2021, 162). Gleichzeitig sind die Voraussetzungen in Russland völlig andere. China hat viel weniger Internetanbieter, welche unter staatliche Kontrolle gebracht werden müssen. Der digitale Markt in China ist deutlich weiter ausgebaut und kann einfacher vom globalen Markt isoliert werden, als der russische. In Russland hätte eine solche isolationistische Politik weitreichende ökonomische und technische Konsequenzen. Gleichzeitig weisen russische Hardware- und Software-Entwickler längst nicht das autonome Know-How auf, über welches ihre chinesischen Gegenparts verfügen (ebd., 161).


In contrast to Chinese views, however, Russian conceptions of information sovereignty highlight the possible malevolent nature of information, such as extremist content and fake news about state policies.

(ebd., 150)

Durch verschiedene Sicherheitsdoktrine zwischen den Jahren 2000 und 2016 avancierte das Internet in Russland zunehmend zu einem Thema der nationalen Sicherheit. Es erfolgte eine versteckte Militarisierung des Cyberspace. Maßnahmen zur Verteidigung im Konfliktfall wurden getroffen und „Information Troops“ als Teil der russischen Armee etabliert. Weiterhin wurden Gefahren-Reportings nationalisiert und zentralisiert und „Computer Emergency Response Teams“ plus weitere Intelligence-Einrichtungen geschaffen. Die Abhängigkeit von ausländischen Technologien und Softwareprodukten sollte reduziert werden, was sich allerdings in der Praxis als schwierig herausstellte. Staatliche Akteure arbeiten meist noch immer mit ausländischen Software-Lizenzen und die russischen Alternativen sind weit weniger nutzerfreundlich (ebd., 148ff.).

Maßnahmen zur Internetzensur wurden vor allem seit der Phase zwischen 2012 und 2015 etabliert und über diverse Gesetzgebungsverfahren eingeführt. Hierfür erfolgte die Erstellung eine sogenannte schwarze Liste von Internetseiten. Dies geschah unter dem Vorwand, das Wohl von Kindern zu schützen und Terrorismus abzuwehren. Aufgrund dieser Liste erfolgte dann eine Filterung von Inhalten (ebd., Seite 156ff.). Dies ermöglichte aber vor allem das Blockieren von unabhängigen Nachrichtenquellen (Hyland 2020, 17ff.). Weiterhin verpflichtet ein Gesetz aus dem Jahr 2016 alle Unternehmen, welche Daten russischer Bürger verarbeiten, ihre Datenbanken auf russischem Territorium zu zu betreiben. Hierbei zeigt sich eine Parallele zum Vorgehen der Europäischen Union im Bezug zum Datenschutz. Bei Zuwiderhandlung wurden in Russland die betreffenden Dienste anfänglich geblockt, später dann Strafzahlungen veranlasst. Ob diese Strafen allerdings gezahlt werden, ist fraglich, da es keine Vereinbarungen mit den Gesetzgebern der entsprechenden Länder gibt (Stadnik 2021, 157f.).

Dabei sticht Russland nicht nur wegen der Implementierung strenger Internet-Regulationen hervor. Die Regierung geht weit über die Beschränkung von Daten und Inhalten hinaus. Das Ziel scheint die Etablierung eines eigenen Segments des Internets zu sein (Stadnik 2021, 147 und Jaitner/Rantapelkonen 2013, 82ff.). Dieses wird auch „Runet“ genannt. Es soll zwar unabhängig vom globalen Netz bestehen, gleichzeitig allerdings weiterhin Verbindungen dazu aufrechterhalten. Grundlage hierfür sind Bedenken, dass das russische Netz einen externen Shutdown erleben könnte, weshalb 2019 ein Gesetz erlassen wurde, welches die Schaffung eines souveränen russischen Intranets anvisiert (Stadnik 2021, 151). In der Umsetzung des Runets sollen ausländische Internetunternehmen sich den lokalen russischen Internetregulierungen beugen (ebd., 148).


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Quellen

Hyland, Jospeh. „Internet Censorship: An Integrative Review of Technologies Employed to Limit Access to the Internet, Monitor User Actions, and their Effects on Culture.“ https://digitalcommons.liberty.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=2078&context=honors > 2020. (27.06.2021)

Jaitner, Margarita; Rantapelkonen, Jari. „Russian Struggle for Sovereignty in Cyber Space.“ In: Turunen, Isco (Hg.). Tiede ja Ase 71, 2013, 64-88.

Kukkola, Juha; Ristolainen, Marie. 2018. „Projected territoriality: A case study of the infrastructure of Russian ‚digital boders‘.“ In: Journal of Information Warfare 17 (2), 2018, 83 -100.

Musiani, Francesca; Loveluck, Benjamin, Daucé, Francoise; Ermoshina, Ksenia. „‚Digital sovereignty: can Russia cut off its Internet from the rest of the world?“ < https://theconversation.com/digital-sovereignty-can-russia-cut-off-its-internet-from-the-rest-of-the-world-125952 > 2019. (10.04.2021).

Stadnik, Ilona. „Russia – An independent and sovereign internet?“ In: Haggart, Blayne; Tusikov, Natasha; Scholte, Jan Aart (Hrsg.). Power and Authority in Internet Governance – Return of the State? London und New York: Routledge, 2021, 147 – 167.

Nocetti, Julien. „Russia’s ‚dictatorship-of-the-law‘ approach to internet policy.“ < https://doi.org/10.14763/2015.4.380 > 2015. (10.04.2021).

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