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In Bezug auf „Digitale Souveränität“ im Iran ist die englischsprachige Quellenlage rudimentär. Vor allem nach dem „Green Movement“ im Jahr 2009 wurde das Internet im Iran wissenschaftlich untersucht (Siboni/Abramski/Sapir 2020, 35) – danach existiert jedoch eine große Lücke. Begriffe wie „Digitale Souveränität“ oder „Technologische Souveränität“ werden in der englischsprachigen Literatur nicht explizit erwähnt – allerdings verfährt die iranische Regierung nach ähnlichen Mustern wie China und Russland und wird häufig als Beispiel im Kontext mit den beiden anderen Staaten zitiert.
Hyland, der sich mit Internetzensur in verschiedenen Ländern auseinandersetzt, bezeichnet den Iran als „one of the worst offenders of Internet freedoms“ (Hyland 2020, 15). Ausgehend von der staatlich geführten Telecommunication Company of Iran wird der Zugang zu Inhalten regelmäßig zensiert und seit 2001 kontrolliert die iranische Regierung den gesamten in das Land einfließenden Internet-Verkehr. Auch hier werden Techniken wie Deep Packet Inspection, Schlüsselwort-Filterung, DNS-Hijacking und protokoll-basierte Drosselung angewandt (ebd.). Weiterhin erfolgt seit Jahren die Arbeit an einem iranischen Intranet – auch „Halal Internet“ genannt – einem geschlossenen System, ähnlich wie in China (ebd., 17).
Der erste schwerwiegende Fall von Internetzensur im Iran zeigte sich im Jahr 2001, als iranische Gerichte der Regierung die Kontrolle über Internetanbieter zusprachen. Letztere wurden daraufhin mit strikten Auflagen zur Überwachung und zu Zensurmaßnahmen verpflichtet. Dies war eine Fortschreibung einer generellen Medien-Zensurstrategie, welche bereits um 2000 etabliert wurde. Mit der US-Invasion in den Irak im Jahr 2003 wurde die Zensur noch strenger und iranische Behörden verhafteten und folterten regimekritische Blogger. Im Zuge des „Green Movement“ im Jahr 2009 erkannte die iranische Regierung die Protestmacht, welche von der digitalen Sphäre ausging und ließ dutzende Blogger inhaftieren. Facebook und Twitter wurden blockiert (Brooking/Kianpur 2020, 11). Während weiterer inländischer Proteste in den Jahren 2017 bis 2019 wurden Internetseiten und Kommunikationsplattformen blockiert und an einigen Orten sogar der Internetzugang für mehrere Tage gesperrt (Siboni/Abramski/Sapir 2020, 35f.). Weiterhin zwang die Regierung Web-Anbieter dazu, eine Verpflichtungserklärung zu unterschreiben, welche einer Bereitstellung von VPN-Services und Proxies entgegensteht (ebd., 27f.).
Seit 2005 beziehungsweise 2006 verfolgt die iranische Regierung eine Strategie zum Aufbau eines „National Information Networks“, „ein nationales Intranet mit einem national verwalteten E-Mailsystem und einer lokalen Serverinfrastruktur, die alle im Iran ansässigen Internetfirmen nutzen sollen“ (Skierka/Brenner 2015, 48). Dabei soll ein IP-basiertes Internet geschaffen werden, welches von Datenzentren gestützt wird, die nicht von ausländischen Kräften aufzuspüren und von diesen zugänglich sind. Dieses nationale Netz soll in Einklang mit schiitischen islamischen Gesetzen stehen und vom globalen Internet isoliert sein. „This ‚halal’ digital ecosystem, free from foreign websites and influence, would allow complete awareness of all Internet traffic in the country – and total control over user data and speech.“ (Brooking/Kianpur 2020, 13) Zu Beginn des Projektes wurden rund drei Jahre als Planungs- und Implementierungszeitraum veranschlagt (Mueller 2017, 49). Im Jahr 2010 wurde das Projekt dann tatsächlich gestartet und im Mai 2019 gab die Regierung einen Realisierungsgrad von 80 Prozent bekannt (Siboni/Abramski/Sapir 2020, 28 und Brooking/Kianpur 2020, 13).
Seit rund zehn Jahren betreibt die iranische Regierung einen stetigen Ausbau des Internetnetzes – vor allem auch in ländlichen Regionen. Inzwischen gehört das Land deshalb zu denjenigen mit der größten Internetnutzerschaft im Nahen Osten (Siboni/Abramski/Spair 2020, 36). Während unliebsame ausländische Dienste wie der Messaging-Anbieter Telegram blockiert werden, wird die Entwicklung nationaler Alternativen intensiv gefördert. So stellte die iranische Regierung zum Beispiel den Diensten Soroush und Bale technischen Support und finanzielle Hilfen zur Entwicklung ihrer Plattformen zur Verfügung. Weiterhin wurde im Jahr 2017 eine Summe von 200.000 USD für lokale Apps zur Verfügung gestellt, die eine Millionen Nutzer erreichten (ebd., 29). Generell unterstützt die iranische Regierung Start-ups und Innovation. Ende 2019 investierte sie 225 Millionen USD in den „Iran Innovation Fund“ um diese Strategie umzusetzen. Neben finanzieller Unterstützung fördert die iranische Regierung auch lokal Bürger durch Bildung im digitalen Bereich. Verschiedene iranische Universitäten bieten Hacking-Klassen an (ebd., 33). Innovativ ist der Iran auch in einem anderen Bereich: Im Dezember 2019 schlug Präsident Hassan Rouhani die Schaffung einer muslimischen Krypton-Währung vor, „as a means of fighting against American economic hegemony“ (ebd., 35).
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Quellen
Brooking, Emerson T.; Kianpur, Suzanne. „Iranian Digital Influence Efforts: Guerilla Broadcasting for the Twenty-first century.“ In: Atlantic Council, 2020, 11-14. < www.jstor.org/stable/resrep24668.6 > (01.06.2021).
Hyland, Jospeh. „Internet Censorship: An Integrative Review of Technologies Employed to Limit Access to the Internet, Monitor User Actions, and their Effects on Culture.“ https://digitalcommons.liberty.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=2078&context=honors > 2020. (27.06.2021)
Mueller, Milton. Will the Internet Fragment? Sovereignty, Globalization, and Cyberspace. Cambride, Malden: Polity Press, 2017.
Siboni, Gabi; Abramski, Léa; Sapir, Gal. „Iran’s Activity in Cyberspace: Identifying Patterns and Understanding the Strategy.“ In: Cyber, Intelligence, and Security 4 (1), 2020, 21- 40.
Skierka, Isabel Marie; Brenner, Thorsten. „Digitale Souveränität.“ In: Woyke, Wichard; Varwick, Johannes (Hrsg.). Handwörterbuch Internationale Politik. 13. Auflage. Opladen, Toronto: Verlag Barbara Budrich, 2015, 45 – 49.