Internetzensur im Iran – Ein Kurzüberblick

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Ein aktueller Freedom House-Report zur Freiheit im Internet (Freedom House 2021) nennt den Iran an vorletzter Stelle vor China. Insbesondere die Planung und der Ausbau eines nationalen Internets wird hier als Grund genannt. Aber auch weitere Internetkontrollen, wie

die Blockierung von Social Media- oder anderen Kommunikationsplattformen,
die Blockierung von politischen, sozialen oder religiösen Inhalten,
die zielgerichtete Unterbrechung von Internetnetzwerken,
die Manipulation von Online-Inhalten durch regimetreue Kommentatoren,
die Erlassung von Gesetzen zur Überwachung oder Aufhebung von Anonymität,
die Verhaftung von Bloggern oder anderen Internetnutzern wegen Verbreitung von politischen oder sozialen Inhalten,
die physische Attacke auf oder das Ermorden von Bloggern,
die technische Attacke auf Regierungskritiker und Menschenrechtsorganisationen

Große Beliebtheit von Social Media und Instant Messing Diensten

Nichtsdestotrotz erfreuen sich Social Media-Plattformen seit der Präsidentschaftswahl im Jahr 2009 zunehmender Beliebtheit im politischen Diskurs. Onlinekommunikation und Inhalte waren ein wichtiger Teil des sogenannten „Green Movements“, in welchem Protestierende und Kritiker den Rücktritt von Mahmoud Ahmadinejad verlangten. Social Media wurden vor allem als Mobilisationstool genutzt (Article19 2017).

Eine Studie aus dem Jahr 2007 ergab, dass persisch die 9. meist-genutzte Sprache innerhalb der globalen Blogosphäre war – und das obwohl es nur die 22. meist-gesprochene Sprache weltweit ist. Dabei war dieser digitale Diskussionsraum geprägt von Inhalten zu klassischer Poesie oder Theologie, Anti-Zionismus, LGBT-Rechten und persischer Pop-Musik (Small Media).

Twitter und Facebook spielten während der Proteste 2009 eine entscheidende Rolle, was zu der Wortschöpfung „Twitter-Revolution“ führte. Nach kurzer Zeit jedoch blockierte die iranische Regierung Twitter. Bis heute werden Twitter-Inhalte gefiltert und sind nur Umgehungstools erreichbar. Überraschenderweise unterhalten wichtige iranische Führungsfiguren ebenfalls Twitter-Accounts. Unter ihnen Ahmadinejad und Khamenei (ebd.).

Nicht blockiert ist bisher Instagram. Die Plattform zählte im Jahr 2017 mehr als 20 Millionen iranische Nutzer. Mit steigender Nutzerzahl zog Instagram 2014 auch die Aufmerksamkeit der iranischen Zensurbehörden auf sich. Aber anstatt die Seite komplett zu sperren, führten diese sogenannte „intelligente Filter“ ein. Damit wurden anstößige Social Media-Inhalte durch Deep Packet Inspection blockiert. Ziel der Blockaden waren meist Model-Agenturen oder Seiten von internationalen weiblichen Berühmtheiten, weniger politische Inhalte (ebd.).

Nachdem Instagram 2015 das Secure Sockets Layer (SSL) Protokoll einführte, konnten die iranischen Behörden ihre Filter nicht mehr einsetzen. In Folge wurden bekannte iranische Instagram-Influencer in den folgenden Jahren für das Teilen von bestimmten, un-islamischen Inhalten verhaftet. Instagram brandmarkten die Offiziellen zunehmend als eine kulturelle Bedrohung, insbesondere von geltender Moral und den Grundfesten der Familie (ebd.).

Noch beliebter als Instagram ist der Messenger-Dienst Telegram. Im Jahr 2017 hatte der Dienst rund 40 Millionen iranische Nutzer. Mit der großen Anzahl der Nutzer stieg auch das Engagement von Akteuren wie internationalen Nachrichten-Organisationen, Fernsehkanälen und Regierungs-Zugehörigen. Wichtige Telegram-Kanäle sind BBC Persian, Ali Khamenei oder Hassan Rouhani.

Doch auch wenn der Dienst als wichtige Kommunikations-Plattform für die iranische Führung wahrgenommen wurde, wuchs das Misstrauen gegen Telegram in der politischen Führungsriege (ebd.). Telegramm wurde zwischen dem 31. Dezember 2017 und dem 13. Januar 2018 blockiert (Article19 2018).

Drosselung, Zensur und Hallal-Internet: Schritte der iranischen Regierung

Die iranische Republik ist eines der wenigen Länder in welchem die Internetgeschwindigkeit absichtlich gedrosselt wird. Diese Maßnahme dient dazu, den Zugang der Bürger zu Online-Diensten zu kontrollieren. Irans Internetgeschwindigkeit gehört zu den langsamsten der Welt. Für die Nutzung von zu Hause wurde die Geschwindigkeit für einige Jahre auf 128kbps gedrosselt, was eine Nutzung von Multimedia-Inhalten fast unmöglich macht (Article19 2017).

Bereits 2001 gab es eine Reihe von Regulierungen, welche Internetanbieter dazu zwingen sollten, Filtersysteme anzuwenden, das Vorgehen von Internetnutzern zu überwachen und alle Anti-Regierungs- und Anti-Islamischen-Websites von ihren Servern zu entfernen. Fast ein Viertel aller Websites weltweit werden im Iran geblockt oder gefiltert. Meist handelt es sich um Inhalte zu sozialen und politischen Themen, sexuellen Themen, religiöse Äußerungen oder Menschenrechtsthemen (ebd.).

Weiterhin wurden und werden lokale Alternativen entwickelt. Unter anderem zu nennen sind hierbei „Aparat“ ein iranisches YouTube oder „Face-Nama“ ein lokales Facebook. Daneben initiierte der Staat auch einen nationalen Email-Service. Die meisten dieser Alternativen hatten jedoch zu geringe Nutzerzahlen, was zu ihrer Einstellung führte (ebd.).

Im Jahr 2013 – kurz vor der iranischen Präsidentschaftswahl – wurden die Zensuraktivitäten soweit vorangetrieben, dass einige Aktivisten schon von einer weitestgehenden Fertigstellung des Hallal-Internets ausgingen. Dieses wird auch als „National Information Network“, „SHOMA“ oder „Sauberes Internet“ bezeichnet. Hierbei geht es um die Schaffung eines nationalen Internets – einer isolierten und in sich geschlossenen Informations-Plattform, deren Inhalte durch die iranische Regierung je nach Übereinstimmung mit politischen und sozialen Normen, vermittelt werden (Article19 2016).

Erste Gerüchte um ein iranisches nationales Internet gab es bereits 2005. Schon ein Jahr später wurde ein Plan vorgelegt, welcher die Fertigstellung eines nationalen Internets innerhalb von drei Jahren vorsah. Aufgrund von fehlenden Geldern stagnierte das Projekt allerdings bis zum Jahr 2010. Doch auch in den Jahren danach ging es nur sehr schleppend voran. Ursprünglich sollte das nationale Internet im Jahr 2015 online gehen, doch bereits ein Jahr später wurde der Launch auf das Jahr 2019 verschoben. (Article19 2016) Im Mai 2019 gab die Regierung einen Realisierungsgrad von 80 Prozent bekannt (Siboni/Abramski/Spair 2020, 36).

Umgesetzt werden sollte das Projekt in drei Schritten (Article 19 2016):

In Phase 1 sollte das nationale Internet vom internationalen Internet abgekoppelt werden.
In Phase 2 sollten alle iranischen Websites von lokalen Hosts betrieben werden.
In Phase 3 sollte das Internet lokal innerhalb des Landes und von den Regierenden kontrolliert werden.

Zensiert wurden und werden vor allem Inhalte, welche als antiislamisch eingestuft werden. Beispiele sind Wikipedia-Seiten zur Homosexualität und Websites, die sexuelle Aufklärung betreiben. Insgesamt waren rund 950 Wikipedia-Seiten im Iran zeitweise nicht zugänglich. Auch ausländische Websites, welche kritisch über den Iran berichten oder Alkohol-Werbung, werden teilweise gesperrt (Thoma 2013 und Rahimi/Gupta 2020).

Zensurbehörden setzten ab 2013 verstärkt auf Filter und die Blockierung ausländischer Websites, welche vorab noch über den Tor-Browser oder VPNs zugänglich waren. Nichtregistrierte VPNs wurden gesperrt. Weiterhin erfolgte eine Drosselung des Internets – eine Hürde im Zugriff auf Webseiten wie Google oder Skype. Monatlich wurden bis zu 1.500 Websites gesperrt (Thoma 2013). Bis heute gehören zu den nicht erreichbaren Webseiten zum Beispiel Auftritte die mit der Gruppe der iranischen Kurden verbunden sind oder solche, die Nachrichten und Geschichten zu Saudi Arabien bringen (Rahimi/Gupta 2020).

Kontrolle über diese Inhalte ist durch eine Struktur möglich, in welcher die Haupt-Telekommunikations-Infrastruktur in der Hand der Regierung liegt. Das iranische Ministerium für Information kontrolliert die Anfragen von jedem Internetanbieter. Neue Blogs und Websites müssen eine Lizenz beantragen. Vorab werden die dort veröffentlichten Inhalte auf ungewollte Inhalte überprüft. Weiterhin wird mit Spionage-Tools in Netzwerken gearbeitet. Damit lassen sich Internet-Telefonie und Emails blockieren und die Nutzer identifiziert, die die Services nutzen (ebd.).

Aktuelle Entwicklungen: Internetshutdowns und weitere Zensurmaßnahmen

Im November 2019 schaltete die iranische Regierung nach Protesten das Internet iranweit ab. Zu landesweiten Protesten kam es, weil die Regierung über Nacht eine signifikante Erhöhung der Benzinpreise bekannt gab. Demonstranten forderten eine radikale Umwälzung des politischen Systems und konstitutionelle Reformen. Innerhalb des fünftätigen Protests wurden mindestens 304 Menschen durch iranische Sicherheitskräfte ermordet (Amnesty International).

Während, beginnend mit mobilen Anbietern, die Regierung das internationale Internet abschaltete, blieb das lokale Netz online. Bankgeschäfte und Regierungsservices wurden fortgeführt. Laut Amnesty International ging so eine große Menge an Beweisen für Menschenrechtsverletzungen während der Proteste verloren. Viele Iraner fürchteten Verhaftungen und löschten entsprechende Inhalte auf ihren Handys (ebd.).

2020 gab Abolhassan Firoozabadi, Sekretär des iranischen Supreme Council of Cyberspace, bekannt, dass Internet-Plattformen, welche nicht die Gesetze und Regeln der Islamischen Republik einhalten, zensiert werden. Internetinhalte welche „kulturelle, soziale, politische und Sicherheits-Risiken“ seien, sollen gefiltert werden. Dabei wurde China von Firoozabadi als Vorbild genannt. Für den Ausbau und Aufbau des nationalen Internets konnte der Iran Länder wie China und Russland als Partner gewinnen (Radio Farda).

Im selben Jahr hatten einige Mitglieder das Parlaments bereits einen Antrag eingebracht, welcher „die Organisation von Social Media“ zum Ziel hatte. Laut diesem sollen ausländische Messaging Apps durch lokale ersetzt werden. Weiterhin enthielt der Antrag den Vorschlag zu Geld- und Haftstrafen von Betreibern von Social Media-Plattformen und für Akteure, welche VPNs zur Verfügung stellen (ebd.).

Im Juli 2021 beschloss das iranische Parlament ein Gesetz, welches die Internetzensur weiter verschärft. Dieses wurde von den Hardlinern in der Regierung durchgesetzt. Noch ist eine Bestätigung durch den sogenannten Wächterrat erforderlich.

Laut dem Gesetz sollen alle Internetnutzer registriert und sämtliche VPN-Anwendungen verboten werden. Offiziell geht es eigentlich um die Schaffung nationaler Alternativen zu bekannten Social Media Diensten und Messengern, wie zum Beispiel WhatsApp. Doch Kritiker befürchten weitergehende Zensurmaßnahmen und die Sperrung von Diensten wie Instagram. Viele Iraner wickeln über diese Geschäfte ab und sind hiervon in ihrer wirtschaftlichen Existenz abhängig.

In der Folge gab es landesweit Proteste. Auf Twitter trendete der Hashtag #Internetshutdown. Unter diesem äußerten sich verschiedene Gegner. Auch aus Regierungskreisen wurde Kritik laut. Neben Twitter ist auch Facebook im Iran verboten. Viele Iraner umgehen diese Zensur bisher jedoch mit VPN-Zugängen. Vor allem junge Menschen verschaffen sich so regelmäßig Zugang zu Informationen (Heise Online 2021, Spiegel Online 2021 und Zeit Online 2021).

Einher mit den Protesten gegen das neue Internetgesetz gingen Proteste gegen Wasserknappheit in Khuzestan. In der Folge wurde in der Region das mobile Internet von der Regierung signifikant unterbrochen – und das länger als eine Woche (Euronews).


Leseempfehlung:

Mehr dazu ist in meinem Blog-Artikel Digitale Souveränität im Iran – Ein Kurzüberblick nachzulesen.

Hashtagempfehlungen:

#Filternet

#Internetshutdown

#KeepItOn


Quellen

Amnesty International. „A Web of Impunity – The killings Iran’s internet shutdown hid.“ < https://iran-shutdown.amnesty.org/ > (07.08.2021)

Article19. 2016. „Tightening the Net: Internet Security and Censorship in Iran – Part 1: The National Internet Project.“ < https://www.article19.org/data/files/medialibrary/38316/The-National-Internet-AR-KA-final.pdf > (06.08.2021)

Article19. 2017. „Tightening the Net – Part 2: The Soft War and Cyber Tactics in Iran.“ < https://www.article19.org/data/files/medialibrary/38619/Iran_report_part_2-FINAL.pdf > (07.08.2021)

Article19. 2018. „Tightening the Net – Internet controls during and after Iran’s protests.“ < https://www.article19.org/wp-content/uploads/2018/03/TTN_Internet-controls-during-and-after.pdf > (07.08.2021)

Euronews. 2021. „Iran water crisis: Internet shutdowns observed amid protests in Khuzestan.“ < https://www.euronews.com/2021/07/22/iran-water-crisis-internet-shutdowns-observed-amid-protests-in-khuzestan > (07.08.2021)

Freedom House. 2021. „Freedom on the Net 2020 – The Pandemic’s Digital Shadow.“ < https://freedomhouse.org/sites/default/files/2020-10/10122020_FOTN2020_Complete_Report_FINAL.pdf > (06.08.2021)

Heise Online. 2021. „Iran: Kritik an geplanten Gesetzentwurf für Internetzensur.“ < https://www.heise.de/news/Iran-Kritik-am-geplanten-Gesetzentwurf-fuer-Internetzensur-6121928.html > (06.08.2021)

Radio Farda. 2020. „Security Official Threatens More Internet Censorship As Iran Moves Towards Intranet.“ < https://en.radiofarda.com/a/security-official-threatens-more-internet-censorship-as-iran-moves-towards-intranet-/30825156.html > (07.08.2021)

Rahimi, Nick und Gupta, Bidyut. 2020. „A Study of the Landscape of Internet Censorship and Anti-Censorship in Middle East.“ In: EPiC Series in Computing 69, 2020, 60 – 68.

Siboni, Gabi; Abramski, Léa; Sapir, Gal. „Iran’s Activity in Cyberspace: Identifying Patterns and Understanding the Strategy.“ In: Cyber, Intelligence, and Security 4 (1), 2020, 21- 40.

Small Media. „#IranVotes2017 – Analysing the 2017 Iranian Presidential Elections through Telegram, Twitter and Instagram.“ < https://smallmedia.org.uk/media/projects/files/IranVotes2017.pdf > (06.08.2021)

Spiegel Online. 2021. „Iran verschärft Internetzensur.“ < https://www.spiegel.de/netzwelt/web/iran-verschaerft-internetzensur-a-c666aed8-b104-414d-ae16-f648b59add8b > (06.08.2021)

Thoma, Jörg. 2013. „Zensur im Iran – ‚Das Internet muss an die Kette‘.“ < https://www.golem.de/news/zensur-im-iran-das-internet-muss-an-die-kette-1305-99312.html > (06.08.2021)

Zeit Online. 2021. „Wasser, Corona, Internetzensur: Iraner im Protestmodus.“ < https://www.zeit.de/news/2021-07/28/heftige-protestwelle-im-iran-gegen-neues-internet-gesetz > (06.08.2021)

1 Gedanke zu „Internetzensur im Iran – Ein Kurzüberblick“

  1. Welch ein Aufwand mit viel Ressourcen wird hier betrieben. Dafür müssen der iranischen Regierung auch willige und kompetente IT- Experten zur Verfügung stehen. Dies wird auf Dauer nicht gelingen und es wird immer eine technische Lösung geben, um diese Zensurbestrebungen zu umgehen.

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